Nachdem die Stadt Tübingen bislang Investitionen in die Windkraft fern des eigenen Kreisgebiets getätigt hat, beschließt der Gemeinderat nun einen Strategiewechsel: Nun will man erneut den Bau von Windrädern auch im eigenen Landkreis prüfen. Drei Standorte wählte man aus: In Kressbach, bei Pfrondorf und auf den Härten unmittelbar an der Grenze zum Gemeindegebiet Kusterdingen in der Nähe von Erddeponie Schinderklinge. Von 10 Anlagen ist die Rede.

Von Dr. Christof Ernst

Die Frage, die sich nun stellt, ist: Was sind die möglichen Auswirkungen eines solchen Vorhabens für das Leben auf den Härten? Wir versuchen in diesem ersten Beitrag, wichtige Aspekte zu beleuchten.

Windkraftanlage: Wozu ein Windrad, ist das Spielerei?

In einer Unterlage des Tübinger Gemeinderats werden 5 bis 9 GWh als erwarteter Energieertrag genannt (pro einzelner Windkraftanlage und Jahr). Das ist keine Kleinigkeit. Zum Vergleich, damit kann man rechnerisch den jährlichen Stromverbrauch von 1.250-2.250 Haushalten (4-Personen) decken. Um die gleiche Menge an Energie mit Photovoltaikanlagen zu erzielen (optimal nach Süden ausgerichtet), bräuchte man bei 5 GWh eine Kollektorfläche von etwa 34.000 m² (also 340 a bzw. 3,4 ha). Das entspricht immerhin fast 5 Fußballfeldern oder in etwa 340 Hausdächer mit jeweils 100 m².
Natürlich muss – sofern das Projekt weiterverfolgt wird – der tatsächlich zu erwartende Output dieser geplanten Anlagen von neutraler Stelle noch mal geprüft werden.

Strom aus Windkraft hat den Vorteil, auch nachts verfügbar zu sein, wenn Photovoltaik keine Energie liefert. Diese beiden Energiequellen können sich also ergänzen und ein Stromnetz so stabilsieren. Die Stromerzeugung kann aber natürlich auch ganz ausfallen, wenn Flaute herrscht. Aus Gründen des Fledermausschutzes werden moderne Anlagen bei geringem Wind und temperaturabhängig bewusst zeitweise abgeschaltet.

Windkrafträder und das Landschaftsbild

Windkraftanlagen verändern das Landschaftsbild, ganz klar. Die Bewertung, ob das schön oder hässlich ist, ist subjektiv, Geschmäcker sind bekanntlich verschieden.

Den Schutz des Landschaftsbildes regelt das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), hier sind auch die Kriterien genannt, die es hierbei abzuwägen gilt. Gleich im § 1 sind die Ziele formuliert:

„Natur und Landschaft sind auf Grund ihres eigenen Wertes und als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im besiedelten und unbesiedelten Bereich nach Maßgabe der nachfolgenden Absätze so zu schützen, dass 1. die biologische Vielfalt, 2. die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts einschließlich der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter sowie 3. die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert sind.”

§ 1 Ziele Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)

Unsere Landschaft ist glücklicherweise noch nicht zu dicht bebaut. Die harmonischen Schichtstufen des Albvorlandes prägen die Landschaft und nur wenige höhere Gebäude stören den Blick. Da würde eine hoch aufragende Windenergieanlage ziemlich auffallen, je nach Blickrichtung. Um ein Gefühl für die Größe heutiger Anlagen zu bekommen, sei der Windpark Oberkochen erwähnt, an dem sich die Stadtwerke Tübingen beteiligt haben. Gebaut wurden vier Windkraftanlagen mit einer Nabenhöhe von jeweils 141 Metern und einem Rotordurchmesser von 117 Metern. Zum Vergeich: Der Turm des Ulmer Münster misst 161 m.
Der/die eine oder andere unkt ja manchmal, das Schönste an den ganzen anderen Teilorten der Gemeinde sei der Blick auf den eigenen Ort. In der Hinsicht könnten die Bürger und Bürgerinnen in den Teilorten Kusterdingen oder Wankheim in Zukunft tatsächlich benachteiligt sein.

Einzelne Windenergieanlagen haben aber auch das Potential, das Landschaftsbild zu ergänzen. Was wäre unser Landschaftsbild ohne die Achalm oder den Roßberg? Die Hochhäuser auf der Morgenstelle in Tübingen zeigen, wo Hightech und lebensrettende Medizin zu Hause sind. Einer Technologieregion, in der die “Zukunft schon begonnen” hat, steht moderne Energietechnologie grundsätzlich gut zu Gesicht.

Die Härten heute

Der ökonomische Aspekt: Lohnt sich das hier vor Ort?

Wirtschaftlichkeit (Ökonomie) und Ökologie hängen meist ganz eng zusammen: Projekte die wirtschaftlich unattraktiv sind, gehen oft einher mit ökologisch problematischer Verschwendung. So auch hier: Es gibt gute und weniger gute potentielle Standorte für Windkraft, sie unterscheiden sich anhand der durchschnittlichen potentiellen Windstärke und der Investitionskosten.

Ein Standort in der Nähe großer Verbraucher wie Tübingen oder Reutlingen mit einer dauerhaft möglichst hohen Windstärke in geringer Bodennähe wäre also ideal. Ein Standort mit geringer oder stark schwankender Windstärke in großer Höhe über dem Boden, bei dem mit viel Aufwand und Ressourceneinsatz der Standort erst erschlossen und kostspielige Umweltauflagen eingehalten werden müssen, wäre eher schlecht. Das Verhältnis von Kosten zu Nutzen ist dann eindeutig schlechter, als bei einem guten Standort.

Ein Investor, wie die Stadwerke Tübingen, will im Wettbewerb der Stromkosten bestehen und muss sich daher mit der Wirtschaftlichkeit des Standortes auseinandersetzen. Die SWT werden im Sinne Ihrer Teilhaber auf die Wirtschaftlichkeit ihrer Investitionen achten. Wenn sich mit derselben Investition mehr erneuerbare Energie in einem vorteilhafteren Projekt bzw. Standort (z.B. Off-shore auf See, Starkwindstandorte On-shore) erzielen ließe, hätte auch die Umwelt gewonnen. Die Wirtschaftlichkeit ist aus unserer Sicht daher eines der wichtigsten Kriterien zur Beurteilung der Sinnhaftigkeit einer Windkraftanlage. Fällt dieses Kriterium nicht überzeugend aus, ist das eingeplante Investitionsbudget an anderer Stelle klimanützlicher eingesetzt.

Gesundheitliche Aspekte für Anwohner: Windkraftanlagen erzeugen Infraschall, was ist das und ist das gefährlich für Anwohner?

Windräder erzeugen einen Schall, der unterhalb der menschlichen Hörschwelle liegt, in etwa bei 16 Hz. Hören kann man ihn also nicht, messen als Schalldruck allerdings schon. Jüngst kam es zu Diskussionen, weil das Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2004 den Schalldruck, der von Windkraftanlagen ausgeht, deutlich zu hoch ausgewiesen hatte. Dennoch gibt es Stimmen wie die von Prof. Dr. Christian-Friedrich Vahl (Universität Mainz). Er forscht zum Thema Infraschall und dessen Auswirkungen auf die menschlichen Organe und berichtet von messbar negativen Auswirkungen auf Herz und Kreislauf. Er empfiehlt, einen Mindestabstand von 2.000 m zu Wohngebieten zu halten. Allerdings gibt es auch Kritik an seiner methodischen Herangehensweise. Die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg geht davon aus, dass der betreffende Schalldruck schon nach 700 m zu gering ist, um die Windkraftanlage von anderen Quellen zu unterscheiden. Gesundheitliche Aspekte sollten bei der Standortwahl jedenfalls auf Basis des aktuellen Forschungsstandes objektiv berücksichtigt werden und Risiken ausgeschlossen werden.

Der Mindestabstand zu Wohngebieten: in BW ist der Abstand 700 m von einer Wohnbebauung

Der Mindestabstand zu Wohngebieten wird in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. In der Regel hält man an einem Mindestabstand von 1000 Metern zur nächsten Wohnbebauung fest. Ausnahme: Baden-Württemberg. Wir haben einen planerischen Richtwert von 700 Metern Abstand einer Anlage zur Wohnbebauung. Die Kommunen haben aber die Möglichkeit, im Einzelfall nach oben oder nach unten abzuweichen. Auf der Seite der Landesregierung sagt Franz Untersteller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in seiner Funktion als Umweltminister: „Wir haben in Baden-Württemberg gute Erfahrungen mit einer flexiblen Regelung gemacht. Wir haben einen planerischen Richtwert von 700 Metern Abstand einer Anlage zur Wohnbebauung. Die Kommunen haben aber die Möglichkeit, im Einzelfall nach oben oder nach unten abzuweichen.“ Übersetzt heißt das: es kann auch eine Anlage mit einem Abstand, sagen wir 400 m, zu einer Wohnbebauung geben. Das bedeutet , dass die Stadt Tübingen den Mindestabstand bei den geplanten Standorten nach der Gesetzeslage wohl einhalten kann.
Für die Anwohner im Mischgebiet Helleräcker Wankheim sind das nach unserer Schätzung ca. 900 m zum potentiellen Standort der Windkraftanlage.

Rückenwind für das Gemeindebudget

Auch wenn Steuern als langweilig gelten: Sollte es am Ende zu einer Entscheidung für den Standort einer Windenergieanlage im Bereich der Erddeponie Schinderklinge kommen, dann wäre es in der Tat ein kluger Schachzug der Gemeinde, einen Standort auf der Gemarkung von Kusterdingen anzubieten. Anstatt die Anlage direkt vor der eigenen Nase hart an der Gemarkungsgrenze, aber auf Tübinger Gemarkung aufgestellt zu bekommen. Denn das Gewerbesteueraufkommen aus dem Betrieb der Anlage steht der Standortgemeinde zu. So kann die Gemeinde Kusterdingen mehr in die Bildung der Kinder und Jugendlichen investieren, oder in die energetische Sanierung der eigenen Gebäude.

Klimaschutz ist uns wichtig und sorgt für Chancen heutiger und nachfolgender Generationen!

Des Weiteren gibt es erste Überlegungen, bisher nicht genutzte Flächen auf unserer Gemarkung, wie etwa das Regenrückhaltebecken bei Jettenburg, behutsam mit Photovoltaik zu bestücken und zusätzlich zu einer Biotopfunktion auch eine energetische Nutzung zu ermöglichen. Wir werden dazu einen Antrag in den Gemeinderat einbringen.
Einen Beitrag zum Klimaschutz kann aber nicht nur die Erzeugung von erneuerbarer Energie leisten, sondern auch der besonders effiziente Umgang mit Energie, siehe hierzu die Beiträge: Rettet das Klima Teil 1 und Rettet das Klima Teil 2.

Die Position von „Unsere Härten“ zu dem Vorhaben Windräder auf den Härten:

Auf Basis der momentanen Informationslage ist eine Festlegung noch nicht sinnvoll möglich. „Unsere Härten“ werden sich daher die Fakten und Argumente anschauen und dabei auch ihre Beiträge berücksichtigen, um zu einer abgewogenen Position zu kommen.

Wie geht es weiter?

Wir sind hinsichtlich der Windräder in Gespräche mit anderen Gruppierungen und Initiativen getreten. Alle Informationen und Entwicklungen werden wir in den nächsten Wochen und Monaten auf dieser Seite
veröffentlichen und archivieren: www.unsere-haerten.de
Es wird auch darum gehen, dass Sie, die Bürger und Bürgerinnen der Härten, sich über das Vorhaben informieren, Ihre Meinung bilden und anderen mitteilen können.

Diskutieren Sie mit! Sagen Sie Ihre Meinung zum Vorhaben der Stadt Tübingen und schreiben einen Kommentar.