Vergangene Woche erreichte uns eine Anfrage einer Mitbürgerin mit dem Anliegen, die Hindenburgstraße umzubenennen. Wir veröffentlichen in diesem Beitrag die Anfrage und unsere Stellungnahme dazu. Siehe weiter unten.
U-Bahnstation Mohrenstraße in Berlin
Angefangen bzw. Fahrt aufgenommen hat alles mit der U-Bahnstation Mohrenstraße in Berlin. In Deutschland gibt es viele Straßen und Plätze, deren Namen an die Kolonialzeit erinnern wie etwa das „Chinesen-Viertel“ in Köln. Auch sind Straßen nach Personen benannt, die sich in der NS-Zeit schuldig bzw. mitschuldig gemacht haben. Die zentrale Frage: Dürfen Straßen diese Namen heute noch tragen?
Von Rainer Degen
Deutschlandweit sind Straßennamen in den Fokus geraten. Grundsätzlich: Auf der einen Seite steht die Zeitgeschichte, auf der anderen Seite der aktuelle Zeitgeist. Wer muss sich wem unterordnen? Sollte man Straßen lieber erst gar nicht nach Politikern benennen? Wer weiß denn schon, was irgendwann so alles rauskommt. Und wer legt die Namen überhaupt fest? Antwort: Die Straßennamen werden in der Regel schon bei der Erstellung der Bebauungspläne durch die Gemeinden bestimmt.
Astrid Lindgren und der „Negerkönig“
Auch in unserer Gemeinde hat es die ersten Umbenennungen gegeben. Es ging um den Namen der August-Lämmle-Schule und der benachbarten August-Lämmle-Straße. Die Schule heißt jetzt Astrid Lindgren Schule. Astrid Lindgren? War da nicht was? In dem 1948 erschienenen Buch „Pippi in Taka-Tuka-Land“ nennt Astrid Lindgren den Vater von Pippi „Negerkönig“. Aus heutiger Sicht würde man eine andere Wortwahl treffen, Astrid Lindgrens Werke jedoch sind zu einer früheren Zeit im damaligen Umfeld entstanden und aus heutiger Sicht ein Stück Zeitgeschichte. Denn sie schreibt vor dem Hintergrund der damaligen Zeit. Das Wort “Negerkönig” führte in Schweden zu großen Diskussionen. Eine Kommune aus Schweden ging dabei soweit, alte Ausgaben aus der Bibliothek zu entfernen.
Eine offene Debatte insbesondere auch mit Berücksichtigung der direkt Betroffenen
Der Vollständigkeit halber: Die August-Lämmle-Straße heißt jetzt “Bruckenäcker”. Die Auswirkungen für die Anwohner durch den neuen Namen sind nicht ganz unerheblich. Es bedeutet Zeit und Kosten die Daten zu ändern, beispielsweise im Personalausweis sowie bei Fahrzeugpapieren muss die Adresse geändert werden. Hinzu kommt die Kommunikation mit dem Arbeitgeber, der Krankenkasse, den Ämtern, Versicherungen sowie Dienstleistern wie etwa den Energieversorgern. Weiterhin: Gedrucktes Briefpapier und Visitenkarten.
Aus unserer Sicht ist daher wichtig, dass eine offene Debatte insbesondere auch mit Berücksichtigung der direkt Betroffenen, stattfindet. Vielleicht kann eine Lösung auch darin bestehen, den in Frage stehenden Namen mit einem zeithistorischen Kommentar, z. B. in Form einer kleinen wissenschaftlichen Hinweistafel, zu versehen, der den Namen oder die Person in die aus heutiger Sicht zutreffende Position rückt.
Abdruck der Anfrage der Mitbürgerin zur Hindenburgstraße und die Antwort von „Unsere Härten“
Die Mitbürgerin hat der Veröffentlichung auf unserer Seite zugestimmt, möchte aber zum aktuellen Zeitpunkt anonym bleiben. Das respektieren wir selbstverständlich.
Sehr geehrte Gemeinderätinnen und Gemeinderäte,
Ich heiße …, … Vor gut fünf Jahren bin ich mit meiner Familie nach Kusterdingen gezogen, und zwar in die Hindenburgstraße.
Ich möchte hiermit anregen, sich nochmal mit dem Thema der Umbenennung der Hindenburgstraße auseinanderzusetzten. Paul von Hindenburg war, wie wir bestimmt alle wissen, ein sehr präsenter Politiker in der Zeit der zwei Weltkriege und alleine die Entscheidung, Adolf Hitler zum Reichskanzler zu benennen, hat indirekt viele Menschen das Leben gekostet. Auch das nach ihm benannte prominente Luftschiff „Hindenburg“ ist kein positives Symbol, weil es schon ein Jahr nach der Inbetriebnahme durch eine Katastrophe in Flammen aufging. (Die neue Baustelle in der Straße wählte diesen Zeppelin als Logo für ihr Projekt, wenn auch ohne das dazugehörige Hakenkreuz.)Eine Straße, die nach einer Person benannt ist, ist eine ehrenhafte Erinnerung an eben diese Person. Aber warum sollten wir Paul von Hindenburg ehren wollen? Mich persönlich belastet es, in einer Straße zu wohnen, die nach einem der größten Förderer der Nationalsozialisten benannt ist.
Schon viele Städte und Gemeinden sind mit gutem Beispiel vorangegangen und haben ihre Hindenburgstraße umbenannt. Die Herangehensweise, mit der neulich die August-Lämmle-Straße umbenannt wurde, hat sich ja bewährt. Es hat gut funktioniert, einen Wettbewerb, bei dem Bürger Namensvorschläge einreichen können, zu starten. So könnte man es doch auch mit der Hindenburgstraße machen.
Ich bitte Sie also, sich mit dem Thema im Gemeinderat auseinanderzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen
N.N.
Hier unsere erste Antwort an die Anfragende:
Sehr geehrte …
Danke für Ihre E-Mail.Zunächst etwas Grundsätzliches aus unserer Sicht: Straßennamen selbst sind ein Teil der Zeitgeschichte und sollten nicht ständig an den Zeitgeist angepasst werden. Nicht zuletzt gilt es auch den Änderungsaufwand für die Anwohner zu beachten.
Rückblickend, aus heutiger Sicht, hat es Hindenburg, vor allem in seinen letzten Lebensjahren (im hohen Alter) nicht geschafft, die Weimarer Republik zu bewahren und er hat mit seiner Unterstützung von Hitler wesentlichen Einfluss auf die Machtergreifung gehabt, die letztlich zum Dritten Reich geführt hat.
Aus heutiger Sicht ist Hindenburg daher tatsächlich keine Person, die eine Vorbildfunktion hat.
Insofern können wir Ihre Argumente daher nachvollziehen und werden Ihre Anfrage im Gemeinderat platzieren. Im Sinne unserer liberalen, freiheitlichen Grundauffassung wäre aber für uns die Einbeziehung der Anwohner der Hindenburgstraße in den Entscheidungsprozess für eine Namensänderung eine notwendige Voraussetzung.Team Unsere Härten
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Comments
Karl-Heinz Failenschmid
Ich wende mich grundsätzlich gegen eine Umbenennung von Straßen, Gebäuden und Plätzen. Ich wende mich auch entschieden gegen eine Umwidmung der August-Lämmle-Schule- oder Straße. Man kann die Einrichtung jeweils mit einer kleinen Info-Tafel versehen, was ich für sehr viel wichtiger halte, ist die geschichtliche Aufarbeitung der Umstände. Welche Umstände führten zu den jeweiligen Verhaltensweisen der Namensträger? Und noch ein kleiner Hinweis: wer kann schon sagen, wo die “Säuberungswelle” einmal enden wird und wer ist sich sicher, nicht selbst eines fernen Tages abgeschraubt zu werden?
Dieter Hornig
Ich bin vor ca. 61 Jahren in den Hindenburg-Kindergarten der Hindenburgstrasse gegangen und bis jetzt hatte der Name keinen gestört. Ich war zwischenzeitlich 35 Jahre Kusterdingen abstinent, seit nunmehr wieder 2 Jahren in Kusterdingen ansässig. Vor 2 Jahren war es so schön, die alten Namen gibt es noch. Mich errinnert an die Hindenburg Strasse noch viel, der Berglesbäck, Kirch, Spitzmaus, CVJM, Mesnerhaus, mein Kindergarten. Weshalb alles niedertrampeln? Weshalb die Schule umbenennen? Ich kann mich erinnern, ich war noch ein Jahr im Neubau der August Lämmle Schule. Da wurde in ner Schulstunde sehr positiv über August Lämmle berichtet. Und jetzt wird er verdammt. Ich finde Neubürger sollten halt die Gegebenheiten akzeptieren, das ist halt so.
Friedrich Kemmler
Was in Kusterdingen und anderswo mit den Namensänderungen von Straßen, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen passiert, ist ein kläglicher und verzweifelter Versuch von Vernichtung der Geschichte. Die grausamen Taten in der Vergangenheit und die Geschichte der Vergangenheit kann man damit nicht ungeschehen machen.
Vielleicht kommen nachfolgende Generationen wieder auf die Idee einer Änderung, oder sogar Rückwärtsveränderung zurück.
Eine schriftliche Ergänzung wäre aus meiner Sicht, die angemessene Handlung gewesen.
Sind die Lizenzgebühren für die Verwendung des Namens Astrid Lindgren bei den Entscheidungsfindung auch berücksichtigt worden, bekannt sind sie mir bislang nicht.
Friedrich Kemmler, Jettenburg
Claus Clüver, Kusterdingen (aus besagter Straße ...)
Hier ist ein Kommentar aus der “WELT” zum Thema Umbenennungen.
https://www.welt.de/kultur/article108718043/Wie-die-Deutschen-ihre-Vergangenheit-entsorgen.html
Diesem schließe ich mich gerne an.
Ich bin also gegen die Umbenennung. Die einzig denkbare Variante für eben diese Kusterdinger Hindenburgstraße wäre aus meiner Sicht – nachdem man nach dem Abriss des Mesnerhauses von oben wie von unten her freie Sicht auf die Kirche hat – “Kirchstraße”. Aber dieser Name ist ja bereits in Mähringen vergeben …
Kirchplatz ist auch schon vergeben, für Kirchenallee stehen zu wenig Bäume … Hm, was gibt’s noch mit “Kirche”?
Ah, ich hab’s: “Bei der Kirche” wäre bei der Kürze der Straße auch noch vertretbar, schließlich ist man ja von jedem Punkt der Straße aus in 2 Minuten bei der Kirche … Und Besucher ohne Navi hätten bei diesem selbstredenden Namen auch keine Findungsschwierigkeiten.
Also mein Vorschlag steht, die Namenssuche ist hiermit eröffnet. (Aus meiner Sicht eigentlich schon beendet ;-))
Karl-Heinz Failenschmid
Vielen Dank für ihren Beitrag. Was mich an dieser Bilderstürmerei, Hexenjagd oder Bücherverbrennung so stört, ist das fehlende Ende. Nun ist aktuell die Eberhard Karls Universität Tübingen an der Reihe. Es ist kein Ende in Sicht. Wollen wir Hegel, Kant, Hölderlin, Goethe, Schiller und alle Anderen auch noch löschen? Einen Vorschlag hätte ich noch: die vergebenen Namen so lassen, es ist unsere Geschichte. In Zukunft dann bitte konsequent keinerlei Personen mehr widmen, keine Frank-Walter-Steinmeier-Allee und auch keinen Annalena-Baerbock-Platz. Nur noch Pflanzen, Tiere oder Flurnamen.